In der Dämmerung des 30. September 1965 begann eines der dunkelsten Kapitel der indonesischen Geschichte — ein systematischer Völkermord, der bis heute im Schatten der Weltgeschichte steht. Was als vermeintlicher Putschversuch kommunistischer Offiziere begann, mündete in eine Vernichtungskampagne, die zwischen 500.000 und 3 Millionen Menschen das Leben kostete.
Die Wurzeln der Gewalt
Die Ursprünge der Massaker liegen in der komplexen politischen Landschaft des postkolonialen Indonesiens. Unter der Führung von Präsident Sukarno hatte sich das Land zu einem Staat entwickelt, in dem die Kommunistische Partei Indonesiens (PKI) — damals die drittgrößte kommunistische Partei weltweit — erheblichen Einfluss gewann. Diese Entwicklung beobachteten sowohl die indonesische Armee als auch westliche Mächte, insbesondere die Vereinigten Staaten, mit wachsender Besorgung.
Die gesellschaftliche Spannung erreichte ihren Höhepunkt, als am 30. September 1965 eine Gruppe von Offizieren sechs Generäle entführte und ermordete. Dieser als »Bewegung 30. September« bekannt gewordene Vorfall wurde vom späteren Machthaber General Suharto geschickt instrumentalisiert, um eine beispiellose Säuberungsaktion gegen tatsächliche und vermeintliche Kommunisten zu legitimieren.
Die PKI, die zu diesem Zeitpunkt etwa 3 Millionen Mitglieder zählte, wurde zum Staatsfeind Nummer eins erklärt. Die Propagandamaschinerie der Armee verbreitete gezielt Gerüchte über angebliche kommunistische Gräueltaten — eine Strategie, die sich als verhängnisvoll effektiv erweisen sollte.
Terror im Paradies
Die systematische Vernichtung begann in der Region Zentral-Java und breitete sich wie ein Flächenbrand über den gesamten Archipel aus. Unterstützt von lokalen Milizen und islamischen Gruppierungen wie der Nahdlatul Ulama, führte das Militär unter Suharto eine »Säuberungsaktion« durch, die an Brutalität kaum zu überbieten war.
Die Methoden der Vernichtung waren von erschreckender Effizienz: Listen mit Namen wurden erstellt, Menschen nachts aus ihren Häusern geholt, in Internierungslager gebracht oder direkt exekutiert. Der Fluss Solo in Zentral-Java wurde zum stummen Zeugen unzähliger Leichen, die seine Wasser rot färbten — ein makabres Symbol für das Ausmaß der Gewalt.
Besonders perfide war die Strategie der Täter, lokale Gemeinschaften zu spalten und Nachbarn gegen Nachbarn aufzuhetzen. Anthropologe Geoffrey Robinson dokumentierte in seinem Werk »The Killing Season«, wie systematisch soziale Bindungen zerstört wurden, um die Vernichtungsmaschinerie am Laufen zu halten.
Westliche Komplizenschaft
Die Rolle westlicher Mächte in diesem Völkermord ist bis heute Gegenstand kontroverser Debatten. Dokumente, die 2017 vom National Security Archive der Georgetown University freigegeben wurden, belegen die aktive Unterstützung der USA: Die CIA stellte der indonesischen Armee »Todeslisten« mit Namen vermeintlicher Kommunisten zur Verfügung.
Der damalige US-Botschafter in Jakarta, Marshall Green, bezeichnete die Massaker in einem Telegramm vom November 1965 als »impressive accomplishment« — eine zynische Bewertung angesichts der humanitären Katastrophe. Die britische Regierung unterstützte die Säuberungen durch gezielte Propagandakampagnen über den Sender BBC.
Auch deutsche Unternehmen profitierten von der »Neuordnung«: Der Konzern Siemens erhielt nach der Machtübernahme Suhartos lukrative Aufträge für den Aufbau der indonesischen Infrastruktur — während noch die Massengräber frisch waren.
Das kollektive Schweigen
Die Aufarbeitung dieser dunklen Episode indonesischer Geschichte wurde jahrzehntelang systematisch verhindert. Unter der 32-jährigen Diktatur Suhartos — der »Neuen Ordnung« — war jede Diskussion über die Massaker tabu. Schulbücher verbreiteten die offizielle Version einer »notwendigen Säuberung zum Schutz der Nation«.
Der 2012 erschienene Dokumentarfilm »The Act of Killing« von Joshua Oppenheimer brach erstmals dieses Schweigen auf internationaler Ebene. Der Film zeigt, wie Täter — oft noch in Machtpositionen — ohne jede Reue ihre Taten nachstellen. Die verstörenden Bilder führten zu einer weltweiten Debatte über die Verdrängung von Massengewalt.
In Indonesien selbst bleibt die Aufarbeitung schwierig. Überlebende und ihre Nachkommen werden bis heute stigmatisiert. Eine 2015 eingerichtete Wahrheitskommission wurde nach massivem Druck konservativer Kreise wieder aufgelöst.
Schatten der Vergangenheit
Die Folgen des Völkermords prägen die indonesische Gesellschaft bis in die Gegenwart. Der aktuelle Präsident Joko Widodo hat 2019 erstmals eine offizielle Entschuldigung für die Massaker angedeutet — ein zaghafter Schritt, der von Menschenrechtsorganisationen als unzureichend kritisiert wird.
Die Traumata werden über Generationen weitergegeben. Studien des Indonesian Institute of Social History zeigen, dass Kinder und Enkelkinder der Opfer noch heute unter systematischer Diskriminierung leiden. Die Bezeichnung »PKI-Kind« bleibt ein gesellschaftliches Stigma.
Das Schweigen über die Vergangenheit hat eine gefährliche Leerstelle in der kollektiven Erinnerung hinterlassen. In Zeiten zunehmender politischer Polarisierung weltweit mahnt das indonesische Beispiel, wie schnell gesellschaftliche Spaltungen in systematische Gewalt umschlagen können — eine Warnung, die angesichts aktueller autoritärer Tendenzen beklemmend aktuell erscheint.